Dies und das - Auf Spinnrad-Jagd in Schweden
Dass mich Hundewolle einmal dazu bringen würde, mich in Schweden auf die Jagd nach Spinnrädern zu begeben, hätte ich beim ersten Verspinnen von Eirons ausgekämmten Haaren eher nicht vermutet. Aber so war‘s. Eiron ist der Eurasier, der zur Familie meiner Schwägerin Ira gehört. Ein hübsches Tier, hellgrau – weiß gezeichnet. Und Eiron muss gekämmt werden. Er ist nicht der erste Hund in der Familie, aber der erste, von dem nennenswerte Fasermengen herab fallen. Und auch der erste, der für sich in Anspruch nehmen kann, nicht nach Hund zu riechen. Wirklich.
Eiron
Diese beiden Eigenarten führten dazu dass, schon kurz nachdem das Tier zur Familie kam, meine Schwägerin mich darauf vorbereitete, dass sie gern irgendwann irgend ein Kleidungsstück hätte, das aus Eirons Wolle hergestellt wurde. Da ich die einzige in der Familie bin, die spinnen kann, ahnte ich, wohin dieser Wunsch führen würde. Ich fand viele Argumente gegen das Tragen von Kleidung aus Hundewolle, aber es half alles nichts. Nach einem halben Jahr wurden mir zwei Stoffbeutel mit Hundehaaren in die Hand gedrückt mit der Bitte, sie zu verspinnen und zu Socken zu verarbeiten. Meine Neugier auf Fasern jeder Art half mir über die Abneigung gegen das Verspinnen von Hund hinweg. Aber was ich da zwischen den Fingern hatte, war wahrlich nichts für ein vergnügliches Spinnstündchen. Eirons Haare sind glatt und relativ kurz. Sie auf meinem Arbeitsrädchen, einem Malottke, zu verspinnen, wollte ich gar nicht erst versuchen. Aber ich habe ja noch ein zweites Arbeitstierchen – mein taubenblaues Flachsrad aus Schweden, mit riesigem Schwungrad und winziger Spule, das sehr schnell dreht, gut einzieht und für kurze glatte Fasern, die man im langen Auszug verspinnt, ideal ist. Ich wagte also den Test und hatte schon bald die ersten zwei Spulen voll. Mir graute vor dem Zwirnen, denn ich hatte bei den fragilen Fäden das Gefühl, sie müssten sich sofort wieder in ihre Einzelteile auflösen, wenn ich sie in Gegenrichtung drehte. Aber nein, das Garn wurde fertig, war nach dem Waschen wunderbar flauschig, tatsächlich auch sehr hübsch, weiß-grau geflammt und reichte für ein Paar Socken.
Garn von Eiron
Nun dachte ich, ich hätte meine Schuldigkeit getan. Aber die Hundehaare wurden weiter gesammelt, an mich weitergegeben … Irgendwann fragte mich meine Schwägerin, was sie mir mal Gutes tun könnte – ich bat sie, die Hundehaare nicht weiter zu sammeln. Aber gerade das kam nun ganz und gar nicht in Frage. Dann regte ich an, sie könne doch selbst spinnen lernen. Ich würd‘s ihr auch beibringen. Und siehe da, die Idee stieß auf Gegenliebe. Nun musste natürlich erst einmal ein passendes Spinnrad her. Und nach meinen eigenen Erfahrungen war ich mir sicher – es kann nur ein schwedisches Flachsrad sein, mir großem Schwungrad und winziger Spule. Ich lauerte in verschiedenen Internet-Auktionen darauf, besuchte einschlägige webseiten und wurde doch nicht recht fündig. Irgendwann saß ich dann mit meiner anderen Schwägerin - Vera - zusammen, sie lebt schon lange in Schweden und fragte im Auftrag ihrer Schwester an, wie weit denn die Spinnradsuche gediehen sei. Ich antwortete wahrheitsgemäß und meinte – eher im Scherz - wir müssten uns wohl selbst in Schweden auf die Jagd begeben. Noch nie nahm eine Idee so schnell Formen an. Eine Woche später wollte Vera zurück nach Malmö und da könnten wir doch zusammen … und während ich in Erfahrung brachte, ob der Musiker an meiner Seite das Auto entbehren kann, suchte Vera bereits die schwedischen Internet-Auktionen nach Spinnrädern ab. Denn wenn ich schon solch eine Reise machte, dann sollten auch Räder für einige der Retschower Spinnfrauen mit über die Ostsee kommen. Vera war sehr schnell sehr erfolgreich. Die nächsten Abende verbrachten wir am Rechner – sie schickte mir ihre Funde und ich schätzte ein, ob die Räder zu gebrauchen sein würden. Dann schrieb sie Listen mit Adressen, stellte Touren von Malmö aus zusammen und rief die Spinnrad-Besitzer an, um sicher zu stellen, dass die Räder noch zu haben waren. Ich fühlte mich wie im Rausch. Diese Vielfalt an Formen, diese unglaublich geformten Wockenstäbe, das Ganze eingebettet in Touren durch die winterliche schwedische Landschaft … Die vielen Menschen und Geschichten, die zu den Rädern gehören würden, hatte ich da noch gar nicht eingerechnet.
so schwedisch wird’s werden
Ich packte mir eine Spinnrad-Test-Tasche mit Drachenschnur für den Antrieb, einem Single Garn als Anspinnfaden, Draht, um mir passende Einzugshaken zu biegen nebst der nötigen Zange und natürlich kardierter Wolle für den Testlauf. Und dann fuhren wir nach Malmö. Schon am AnkunftsAbend hatten wir das erste Date mit einem Spinnrad. Marita und Stefan wohnten nur ein paar Straßen weiter, waren gerade vom Dorf nach Malmö gezogen und hatten keinen Platz mehr für das Rad. Es war ein traumhaftes Spinnrad aus hellem Holz, der Wockenstab war ein gewachsener Fichten-Quirl, entrindet und lackiert. Der Haken war – es zog nicht ein. Die Besitzer beobachteten fasziniert, wie ich es spinnfertig machte, aber leider konnte ich keine vollendete Vorführung bieten. Wenn es nicht so schön und unser „Erstling“ gewesen wäre, hätte ich es wohl da gelassen. Die Spule klebte fest an der Welle und auf die Schnelle ließ sich nicht sagen, warum. Die beiden waren aber so glücklich, dass ihr Rad zu jemandem kommen würde, der wieder darauf spann, dass ich sie nicht enttäuschen wollte. Also kam es mit. Aber so ein richtiges Hochgefühl stellte sich nicht ein. Was, wenn sich das Ganze als große Schnapsidee herausstellen würde? Nun, dann hätte ich immer noch ein paar schöne, abwechslungsreiche Tage in Schweden gehabt.
Marita und Stefan
Für den nächsten Tag hatte Vera vier Räder „klar gemacht“. Die ersten beiden waren jedes auf seine Art Problemfälle – keines tat auf Anhieb, was es sollte, aber es bestand Hoffnung, dass man sie überreden könnte. Etwas gefrustet saß ich mit Vera im Auto, um zu Rad Nummer vier zu fahren. Kerstin in Åstorp. „Ich hätte jetzt gern mal ein Rad, das spinnt“, maulte ich. Und ich bekam ein Rad, das spinnt. Es kam aus der Familie von Kerstins Mann, der ein Jahr zuvor gestorben war. Als ich es anspann, war sie den Tränen nahe. „Wenn das mein Mann noch hätte erleben können...“. Wie einen Schatz trug ich es zum Auto.
Kerstin
Bei Helge in Stråvalla war es ähnlich. Ein zauberhaftes Rädchen mit einem Wockenstab, der aussieht, wie ein Quirl. „1901“ ist eingeritzt. Helge – um die 80 Jahre alt - hat Mutter und Großmutter noch darauf spinnen sehen. Und freute sich, als das Rädchen losschnurrte. Ich war ebenfalls froh. Was immer auch noch kommen würde – ein Rädchen für Hundemutter Ira würde ich auf jeden Fall mitbringen.
Helge und Katrin
Insgesamt haben wir in vier Tagen neun Spinnräder „erbeutet“. Und ich habe schwedische Dörfchen wie „Emmaboda“, „Knisslinge“ oder auch „Hässleholm“ kennen gelernt. Jeden Abend wuchs die Spinnrad-Herde in Veras Wohnzimmer. Und ihr Zweifel, dass die alle in mein Auto passen würden. Ich war da sehr optimistisch. Schwungräder aushängen, alles in mehreren Schichten einstauen, Decken dazwischen … das wird schon.
Alle Neune
An den Abenden nahm ich mir die ersten Problemfälle vor. Unser erstes Rad von Marita und Stefan überredete ich noch in Malmö zum Spinnen. Als ich die Spule – mit etwas Krafteinsatz – von der Welle gezogen hatte war klar: Rapsöl, offenbar ein schwedisches Allheilmittel für SpinnradGebrechen, war die Ursache dafür, dass die Spule festsaß. Mit Spülmittel, heißem Wasser, einem festen Lappen und etwas Geduld „heilte“ ich das Rädchen. Und es schnurrte vergnügt los. Das stimmte mich optimistisch für die übrigen Problemfälle und ich freute mich nun sehr darauf, mit allen Rädern nach Hause zu kommen.
Bereit zum Verladen"
Im Auto
Wir nahmen uns zwei Stunden Zeit zum Packen. Vera und ihre Tochter brachten die Räder zum Auto, ich war mit „Stauen“ beschäftigt. Nach einer Stunde waren alle drin. Die größte Herausforderung war Veras Koffer. Und dann ging es mit der Beute über die Brücke nach Gedser und mit der Fähre zurück nach Rostock. Ein bisschen ungläubig starrten meine Männer beim Auspacken auf die immer größer werdende Spinnrad-Schar. „Wie hast Du das alles da rein gekriegt?“ Gaanz langsam. Mit Gefühl und so. Die kommende Woche brachte ich damit zu, die Problemfälle zum Spinnen zu überreden. Sie alle hatten jahrelang nur zur Dekoration gedient. Manche zierten sich ein wenig, aber schließlich konnte ich Vera simsen: „Sie spinnen jetzt alle“. Neben Ira haben die Retschower Spinnfrauen jetzt Vergnügen an den schwedischen Rädern. Und – wer hätte das gedacht – auch meine eigene Herde hat sich auf wundersame Weise um ein Exemplar vergrößert.
Carla mit „meinem“ Rad